Ein Rückblick
Die Gründung des Instituts für Wachstumsstudien im Jahr 2004 lässt sich im Rückblick vielleicht am besten als eine Art von wissenschaftlicher Verzweiflungstat bezeichnen: Damals hatten wir uns intensiv mit der ökologischen Wachstumskritik beschäftigt. Deren Vertreter hatten bereits in den 1970er Jahren eindrucksvoll vorgerechnet, dass ein fortgesetztes exponentielles Wirtschaftswachstum auf kurz oder lang zum Kollaps unseres globalen Ökosystems führen müsste. Anfang der Nullerjahre waren die Wachstumskritik und ihre Vorhersagen allerdings zu einem Randthema geworden und standen angesichts von Massenarbeitslosigkeit andere Themen auf der Tagesordnung. Wir waren dennoch fasziniert von den Berechnungen der Wachstumskritikern mit ihren schwindelerregend hohen Zahlen, die für einen exponentiellen Verlauf so typisch sind. Und wir wollten wissen, wo in der exponentiellen Wirtschaftsentwicklung wir mittlerweile eigentlich standen.
Als wir uns allerdings mit der bundesdeutschen Wirtschaftsgeschichte auseinandersetzten, stießen wir auf einige wenige Ökonomen, die sonderbares schrieben: Es habe in der Bundesrepublik nie exponentielles Wirtschaftswachstum gegeben. Wir vollzogen ihre Berechnungen nach und stellten überrascht fest: Es stimmte. Unser Bruttoinlandsprodukt war seit 1950 strikt linear gewachsen, also lediglich um kontante absolute Beträge. Zwar kann auch ein lineares Wachstum sehr steil ausfallen. Es folgt dabei aber einer ganz anderen, überschaubareren Dynamik als exponentielles Wachstum, das sich ja gerade durch seine immer stärkere Beschleunigung auszeichnet.
Die naheliegende Frage war: Ist Deutschland damit der seltene Ausnahmefall? Wir werteten die Wirtschaftsentwicklung anderer wichtiger Volkswirtschaften ab 1950 aus – das Ergebnis war fast immer das gleiche: Wohin wir auch schauten, war lineares Wachstum der ökonomische Regelfall, exponentielles hingegen die große Ausnahme. Wie konnte das sein? Dieses Ergebnis war ja nicht nur deshalb so bemerkenswert, weil es im Widerspruch mit den Berechnungsgrundlagen der Wachstumskritiker stand. Viel wichtiger war: Es war unvereinbar mit einer wichtigen Grundannahme der Volkswirtschaftslehre. Wer ein Ökonomielehrbuch aufschlägt, der findet dort gemeinhin die Aussage, dass Volkswirtschaften im Normalfall exponentiell wachsen. Diese Grundannahme gilt als so selbstverständlich, dass sie nahezu nie hinterfragt wird. Und doch sprach die Empirie nun mit aller Deutlichkeit dagegen.
Spätestens nun war unser Interesse geweckt, war doch eines relativ schnell klar: Es ging hier um mehr als nur eine wissenschaftliche Kuriosität. Konstante Wachstumsraten gelten nicht nur der Volkswirtschaftslehre als Normalfall, sondern vor allem auch der Wirtschaftspolitik. Die Höhe der Wachstumsraten gilt als ein zentraler Gradmesser für den Gesundheitszustand einer Ökonomie. Bleiben sie konstant, ist unsere Wirtschaft gesund, sinken sie hingegen, läuft etwas falsch. Und wenn etwas falsch läuft, steht Politik natürlich unter Druck, entgegenzuwirken. Wenn aber bereits die Annahme, das gesunde Volkswirtschaften exponentiell wachsen, falsch ist, muss dies auch für darauf aufbauende politische Schlussfolgerungen gelten. Anders ausgedrückt: Eine Politik, die in typischerweise linear wachsenden Volkswirtschaften den langfristigen Rückgang der Wachstumsraten aufhalten will, muss schon an der Mathematik scheitern. Damit aber provozieren sinkende Wachstumsraten eine Politik, die tendenziell in die immer selbe Richtung geht, weil sie ihre Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik in den Dienst einer übergeordneten Wachstumsstrategie stellt. Eine Wachstumsstrategie, die zu immer neuen Misserfolgen verurteilt ist.
Das IWS mit seiner es tragenden Gesellschaft für Wachstumsstudien e.V. bot uns dafür für mehr als zehn Jahre einen geeigneten Rahmen für unsere ehrenamtliche Forschungstätigkeit. In dieser Zeit haben wir uns des Themas grundsätzlich angenommen, uns mit anderen Wissenschaftlern ausgetauscht und Aufsätze veröffentlicht. Mit unserem Buch „Die Scheinkrise“ hat unsere wissenschaftliche Zusammenarbeit 2018 ihren jedenfalls vorläufigen Abschluss gefunden. Das Thema als solches hat für uns allerdings weder seine Faszination noch seine Aktualität verloren, dürfte doch nicht zuletzt eine Ursache für eine immer wieder verschleppte Klimapolitik die Unsicherheit sein, ob diese unser vermeintlich ohnehin schon instabiles Wachstum nicht noch weiter schwächen könnte.
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